Mittwoch, 20. Mai 2009

Yes we can... not discuss certain things

Maßlose Enttäuschung macht sich bei amerikanischen wie europäischen Obama-Anhängern breit - hatte der US-Präsident doch unlängst bekannt gegeben, dass man sich gegen die Veröffentlichung diverser Folterfotos wenden werde. Nun steht außer Frage, dass sich "Gods own Country" mit seiner fragwürdigen Praxis der Internierung und "Befragung" potentieller Terroristen diverser Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat. Bei aller Wahlkampfrethorik, dass man sich bei einer Präsidentschaft Obamas von dem alten Bush-Kurs lösen wolle - hat irgendwer ernsthaft vermutet, dass Obama bewusst das ohnehin angekratzte Image der Vereinigten Staaten durch radikale
Aufklärung dieser unschönen Vorgänge weiter beschädigen wolle?

Fakt ist: Wenn weitere Folter-Vorwürfe gegen amerikanische Militärs oder Militärverwaltungen auftauchen, wird nicht nur die arabische, sondern die gesamte Weltöffentlichkeit ganz gewiss nicht differenzieren, ob diese Vorgänge unter Bush oder Obama begangen wurden. Obama hat also vor allem eins im Auge: Das Ansehen seines Landes in der Weltöffentlichkeit. Dass die Vereinigten Staaten sich naturgemäß schwer damit tun, Menschenrechtsverletzungen oder Massaker zuzugeben (man siehe My Lai), tut hier nichts zur Sache. Wenn Obama jetzt als "ehrlicher Makler" gerade der arabischen Welt gegenüber auftreten möchte, muss er diverse Mängel am Verkaufsobjekt kaschieren.

Die Weigerung, Folterfotos zu veröffentlichen kann man unter dem - fragwürdigen - Fakt der Schadensbegrenzung verbuchen. Dass Obama gleichzeitig die umstrittenen US-Militärtribunale für potentielle Al-Kaida-Sympathisanten aufgrund der "langen Tradition", die diese hätten, fortführen möchte, steht auf einem anderen Blatt.

Wie auch immer, ich schließe mit einem Bismarck-Zitat für diejenigen, die im US-Wahlkampf bedingungslos glaubten, dass Obama der Retter der Welt sein würde:

"Ich möchte den Herren eins zur Richtschnur empfehlen, was den Engländer und Franzosen auszeichnet. Das ist das stolze Gefühl der Nationalehre, welches sich nicht so leicht und häufig dazu hergibt, nachahmenswerte und bewunderte Vorbilder im Auslande zu suchen, wie es hier bei uns geschieht."

Und genauso ist es. Etwas mehr differenzierte Berichterstattung und Meinungsbildung im Vorfeld wäre sehr wünschenswert gewesen. Obama wurde von der realen Situation der Weltpolitik 2009 eingeholt - wann endlich werden es auch die blinden Obama-Apolegeten des US-Wahlkampfes und der Folgezeit?

Donnerstag, 14. Mai 2009

Von Geschichte und Geschichten....

In der populärhistorischen (TV-)Berichtserstattung zu zeitgeschichtlichen Vorgängen oder Zusammenhängen á la Guido Knopp erfreut sich die „oral history“ genannte Darstellungsweise durch Zeitzeugen großer Erfreutheit. So darf hier Opa Hans-Jürgen im Spotlight der Knopp’schen Kamera noch einmal mit glänzenden Augen erzählen, wie er bei der Verteidigung von Breslau im Alleingang drei russische T-34 knacken konnte oder Großtante Elfriede von ihrer Rolle im antifaschistischen Straßenkampf der späten 20er Jahre schwärmen. Inwieweit die Erzählungen korrekten Ereignissen folgen, darf oftmals bezweifelt werden. Oder, wie Harald Schmidt einmal treffend formulierte: „Augenzeugen schildern präzise, woran sie sich nur noch verschwommen erinnern können.“

Wenn man nun in der Uni eine Veranstaltung über die letzten 30 Jahre Krieg in Afghanistan belegt und der Dozent Afghane ist, löst das zunächst nicht unbedingt Argwohn aus. Wer, wenn nicht ein Landsmann könnte wohl besser die Geschichte und Kultur des uns fernen Staates am Hindukusch - an dem immerhin Deutschland verteidigt wird - darstellen? Auch die im Vorfeld der Veranstaltung brodelnde Gerüchteküche, der gute Mann sei „schon drei Mal im Grenzgebiet zu Pakistan verschleppt worden“ oder habe gar „in US-Haft gesessen“ löst zu diesem Zeitpunkt eher noch Heiterkeit als Bedenken aus. Spätestens nach den ersten 45 Minuten wähnte man sich dann aber doch eher in einer modernen, politisierten Märchenstunde als in einer wissenschaftlicher Veranstaltung. Fakt ist, dass die unglaublich nette, sonore und durch den Akzent gefärbte Stimme des Dozenten erheblich dazu beiträgt, dass man einfach nur die Füße hochlegen, sich einen 12 Jahre alten Scotch einschenken und vor prasselndem Kaminfeuer stundenlang seinen Erzählungen lauschen möchte.

Und die haben es in sich: Afghanistan sei im Grunde innerlich ein hochmodernes und friedfertiges Land, dass stets der Spielball zwischen britischen Kolonialtruppen, russischen Kommunisten, Amerikanern und – am schlimmsten! – den Pakistanis gewesen sei. Die epische Schilderung der Vernichtung der britischen Kolonialarmee am Khyber-Pass 1842 hatte hier schon Tolkien-Format: Man sah vor geistigem Auge, wie die diversen, eigentlich tief zerstrittenen Stämme Afghanistans unter gemeinsamer Flagge gegen die Tommys zogen und heldenhafte Siege errangen. Es folgte eine Tirade gegen die Grenzziehung der Briten, die große Teile Ostafghanistans Pakistan eingliederten. Überhaupt, der pakistanische Geheimdienst! Aber das führt jetzt hier zu weit… Auf die Frage „Was können Sie denn zum Drogenanbau in Afghanistan sagen“ antwortete der Dozent mit den schlüssigen Worten „Nur zum Eigenbedarf!“ – der Anbau von Schlafmohn sei ohnehin erst mit den Amerikanern ins Land gekommen. Überhaupt nahm er das Wort „Heroin“ nicht einmal in den Mund sondern redete auch beim Thema Schlafmohn konstant von „Haschisch“.
Es folgte ein Schwank aus der Kindheit, und spätestens jetzt war das schöne Bild Afghanistans perfekt: Jeder konnte sich vorstellen, wie sich die Warlords des Heimatdorfes freitags nachmittags vor der Moschee trafen, die AK-47 einen Moment auf die Seite legten und bei Tee und Gras den Sonnenuntergang über den wilden, zerklüfteten Gipfeln des Hindukusch genossen. Wunderschön!

So viel Verständnis ich für einen Menschen aufbringen kann, dessen Heimat seit 30 Jahren durch Krieg und Armut verwüstet wird… In der Universität sollte man doch eher wissenschaftliche Fakten wiedergeben, als durch eigene Erfahrungen geprägte Freund- und Feindbilder. Andererseits: Ich freue mich schon auf morgen. Dann gibt’s nämlich wieder Märchenstunde. Und das hat auch was für sich – vielleicht dann ja auch wirklich mit Scotch.

Samstag, 9. Mai 2009

Aus aktuellem Anlass: Zum „Anti-Islamisierungskongress“ in Köln


Wie man früheren Postings entnehmen kann, stehe ich als Christ dem Islam als Religion und seiner Ausbreitung in Europa mehr als kritisch gegenüber. Ich halte nichts von Großmoscheen, kopftuchtragenden Lehrerinnen, Sharia-Recht in Deutschland, unkontrollierter Zuwanderung und Zensur der Meinungsfreiheit, um religiöse Gefühle nicht zu beleidigen. Gerade als Christ könnte ich ein Liedchen davon singen, wie es um die Beleidigung meiner religiösen Gefühle steht – tue ich aber nicht (na ja, manchmal, zugegeben), denn ich bin eigentlich stark genug im Glauben um vermeintliche Beleidigungen aushalten zu können. Ich halte es mit Henryk M. Broder: Es gibt kein Recht, nicht beleidigt zu werden. Die Kritik an der Religion ist ein Fundament unserer abendländischen freiheitlichen Kultur und war essentieller Bestandteil der Aufklärung.

Nun ist es aber so, dass Kritik am Islam und seinen Ausprägungen verpönt ist. Wer den Islam hierzulande kritisiert, wird nur allzu schnell in eine politische Ecke gestellt, in der man sich eigentlich gar nicht verortet – und sich auch gar nicht verortet haben möchte. Das ist eine unschöne Tatsache, die sich in veränderter Form auf viele politische Topics übertragen lässt, sei es Zuwanderung allgemein, Vertreibung oder ähnliches. Fakt ist aber, dass diejenigen Kräfte, die sich heute „islamkritisch“ nennen, selbst einen gehörigen Schuss dazu beitragen. Beispiel „pi-news.net“: Das von mir in seiner Anfangszeit durchaus gern gelesene Blog hat sich inzwischen zu einem reinen Tummelplatz rechtsextremer Idioten entwickelt, in dem unter der Prämisse „Gegen die Islamisierung Europas – für Grundgesetz und Menschenrechte“ Kommentare wie „Ein Völkermord [an allen Muslimen] ist unausweichlich“ oder „Man müßte sie ALLE erschlagen!“ zu finden sind. Die Glaubwürdigkeit, von bürgerlich-rechtsstaatlicher Seite gegen die Islamisierung zu argumentieren, hat „PI“ schon lange verloren und propagiert in der Folge nichts anderes als (mehr oder weniger versteckten) Fremdenhass.

Nun findet dieses Wochenende in Köln der zweite „Anti-Islamisierungskongress“ statt. Veranstalter ist „Pro Köln“, eine – nach eigenem Verständnis – Bürgerbewegung demokratisch-rechtsstaatlich gesinnter Kölner, die vor allem gegen die geplante Großmoschee in Köln-Ehrenfeld Position beziehen. So legitim der Protest gegen ein Bauprojekt dieses Ausmaßes ist, stecken auch hinter der „Bürgerbewegung“ letztlich bekannte Gesichter: Die Vorsitzenden und Hauptagitatoren taten sich in der Vergangenheit durch Mitgliedschaft in NPD oder anderen rechtsextremen Gruppierungen, den Vertrieb von Neonazi-Devotionalien oder ähnliche zweifelhafte Machenschaften hervor. Die Gästeliste des Anti-Islamisierungskongresses liest sich ebenfalls wie ein „Who’s Who“ der europäischen Rechtspopulisten bis -extremisten. Wie sollte jemand angesichts dieser Tatsachen ernsthaft auf den Gedanken kommen, Islamkritik hätte nichts mit Rechtsextremismus zu tun?

Und da liegt der Hase im Pfeffer. Letztlich ist es leider wieder einmal allein die extreme Rechte, die mögliche Probleme durch die Zunahme der islamischen Bevölkerung in Europa anspricht und sich somit die Deutungshoheit über das Thema erschleicht. Der Schaden für eine freie, rationale Diskussion des Ganzen ist also enorm, denn solange sich nur die Rechtsextremen für das Thema engagieren, wird eine freie Diskussion nicht möglich sein. Bei den Fragen der Vertreibung scheint seit dem fragwürdigen Eingriff Frau Merkels in die „Causa Steinbach“ ähnliches zu drohen. Letztlich wieder nur ein Beweis, dass wichtige Positionen in der Politik kampflos der extremen Rechten überlassen werden – weil die angeblichen Konservativen in den etablieren Parteien eine klare Positionierung hierzu ablehnen. Ich hoffe sehr, dass sich in Deutschland und Europa eine Islamkritik entwickeln kann, die nicht mehr allein durch Neonazis und fragwürdige Persönlichkeiten vertreten wird, wie es leider momentan der Fall ist. Die berechtigte Islamkritik muss in die Mitte der Gesellschaft getragen werden. Und wie schon Peter Scholl-Latour einmal treffend formulierte: „Ich fürchte nicht die Stärke des Islam, sondern die Schwäche des Abendlandes. Das Christentum hat teilweise schon abgedankt.“ Die Reaktion eines gläubigen Christen auf die Islamisierung sollte also nicht nur in Protest GEGEN bestehen, sondern auch im Leben und Eintreten FÜR. Nur wer seine eigenen Werte und Stärken kennt, kann einem Gegner aufrecht ins Auge blicken.

Bismarck I

"Man fragt oft: Was heißt konservativ? Wirklich übersetzt heißt es "erhaltend", aber dieses Erhaltende besteht nicht etwa darin, dass man immer das vertritt, was die jedesmalige Regierung will. Denn dieses ist etwas Wandelbares, die Grundlagen des Konservatismus aber sind beständig."
(1891)

Freitag, 8. Mai 2009

Große Koalition: Paintball verbieten!

Es war ja nur eine Frage der Zeit (und des heraufdämmernden Wahlkampfes): Die schwarz-rote Bundesregierung hat jetzt in ihrem "War on Amoklauf" nach den "Killerspielen" das nächste Opfer gefunden: Paintball.

Regierung will Paintball-Spiele verbieten

Die Spitzen der Koalition haben sich auf eine Verschärfung des Waffenrechts geeinigt. Freizeit-Ballerspiele wie Paintball und Laserdrom werden verboten - weil sie das Töten simulieren.

Quelle: Spiegel Online

Nun hat man also den nächsten Abschusskandidaten bei der Bekämpfung der vermeintlichen Ursachen des Amoklaufes gefunden. Nachdem unmittelbar nach dem tragischen Amoklauf von Winnenden sofort wieder die berühmt-berüchtigten "Killerspiele" ins Augenmerk der politischen Säuberungsbehörden fielen, soll jetzt auch eine Sportart, die von unterschiedlichsten Schichten und Berufsgruppen der Gesellschaft betrieben wird, verboten werden. Grund: Sie simuliere das Töten und fördere damit das Gewaltpotential. Wie schon an früherer Stelle in diesem Blog gepostet ist der Autor selbst "Killerspiel"-Spieler und somit hochgradig Amok-gefährdet. Paintball habe ich bislang noch nicht gespielt, würde es aber nur zu gerne einmal ausprobieren.

Dass von Seiten der Politik letztlich nur nach einem Sündenbock gesucht wird, ist mehr als offensichtlich und bedarf keiner weiteren Ausführung. Zum Vergleich: Im 18. Jahrhundert war die Lektüre von Romanen allgemein und gerade Goethes "Die Leiden des jungen Werther" insbesondere verpönt - gerade dieses Schmuddelwerk fördere den Suizid unter jungen Männern und vergifte die Seelen der Leser, so die herrschenden Eliten damals.

Dass nahezu alle Amokläufer "Killerspiele" auf ihrem Rechner hatten (wie wohl ein überwältigender Großteil der Jugendlichen heutzutage), in Schützenvereinen engagiert oder in Besitz von Waffen waren, berechtigt die Politik noch lange nicht, die Freizeitbeschäftigung der Millionen "Killerspiel"- oder Paintballspieler, die nicht bei erstbester Gelegenheit Jagd auf unbescholtene Schüler machen sowie die bestehenden (bereits unglaublich repressiven) Waffenrechte einzuschränken. Letztlich bleibt auch das angedachte Paintball-Verbot ein weiteres Zeugnis der Unfähigkeit der Politiker, sich intensiv mit den Ursachen zu beschäftigen, die einen (jungen) Menschen zu so einer Wahnsinnstat treiben.

Anders gefragt: Wann verbietet die Bundesregierung Perspektivlosigkeit, Werteverfall, familiäre Differenzen, Mobbing, schulisches Versagen, mangelnde Belastbarkeit, psychische Probleme oder Arbeitslosigkeit?

Donnerstag, 7. Mai 2009

Lernt denn keiner was?

Aufgrund meiner Liebe zu amerikanischer Countrymusic bin ich leidenschaftlicher Hörer diverser US-Radiostationen – geht ja heute alles bequem per Internet, Datenglobalisierung und so. Was mich teilweise aber erschreckt, sind die Inhalte der Werbung zwischen Toby Keith und Waylon Jennings: Hier wird beispielsweise den guten Leuten von Conroe, Texas halbstündlich eingehämmert jetzt doch in Immobilien am Stadtrand zu investieren, die jetzt „minimum prices“ hätten und sich garantiert auszahlen. Versuchen hier irgendwelche Banken, ihren durch die Immobilienkrise in den USA erheblich angewachsenen Grundbesitz an irgendwelche Landeier loszuwerden, die sich wiederum bei der Finanzierung verzetteln werden? Ohne Rücksicht auf Verluste? Oder soll hier durch Steigerung der Nachfrage eine Erholung des Marktes erzielt werden, ähnlich dem hanebüchenen Konzept der Abwrackprämie bei uns? Ich tendiere zu ersterem: Gerade jetzt, wo eine globale Wirtschaftskrise im Heraufdämmern ist versucht jeder noch mal ordentlich abzusahnen. Das Phänomen lässt sich auch in Deutschland betrachten: Unlängst kam ein interessanter Fernsehbericht über die pilzartige Ausdehnung von „1-Euro-Shops“, die gezielt das Kaufbedürfnis von sozial benachteiligten Familien befriedigen und dafür sorgen, dass auch die letzten Hartz-4-Kröten noch „sinnvoll“ beim Shopping ausgegeben werden können. Ebenso die „0%-Superzins!“-Aktion eines großen europäischen Elektronikmarktes. Hier sollen Leute zum Kauf eines Laptops, Flachbildfernsehers oder einer neuen Waschmaschine überredet werden, die sich eigentlich finanziell nicht in der Lage befinden, sich eine derartige Neuanschaffung leisten zu können. Durch die Praxis des „Abstotterns“ („sind ja nur 60 Euro im Monat“) wird hier auch so mancher erst sehr spät erkennen, dass er sich gnadenlos verspekuliert hat.

Fazit: Traurig, wie der Markt auf die Krise reagiert und immer noch nicht genug kriegen kann. Von einer sozialverträglichen Marktwirtschaft, wie von Ludwig Erhard oder der Freiburger Schule gedacht, kann in Deutschland schon lange keine Rede mehr sein. Wer kann es den Leuten verdenken, sich gegen die neoliberale Politik zu radikalisieren und extrem zu wählen? Die Parallelen zu 1929/30 sind vielleicht zahlreicher, als sich manche eingestehen möchten.

Völkermord 1915: Wie sich Türken und Armenier 94 Jahre später näher kommen

Nach Jahrzehnten der Ablehnung kommen sich Türken und Armenier endlich näher, trotz – oder gerade wegen der Diskussion um den Völkermord 1915.

Gelesen auf Zeit.de:

„Es sind alte Fronten, die da am Kaukasus aufbrechen. Doch bleibt nicht der Streit um den Völkermord an den Armeniern 1915, dem am 24. April gedacht wird? Die armenische Diaspora im Westen pocht weiter auf die Anerkennung des Genozids durch die Türken. Noch immer leugnet der türkische Staat das Verbrechen. Doch eine neue Generation von Armeniern, Türken und einigen mutigen Politikern will das ändern. Gesprochen wird auch über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Einrichtung einer Kommission beider Regierungen, die die gemeinsame Geschichte, die Völkermordfrage, aufarbeiten soll.“

Prinzipiell geht es vorrangig um die Öffnung der Grenze zwischen der Türkei und Armenien, die seit nunmehr 16 Jahren hermetisch abgeriegelt ist.

"Äußerer Druck führt nur zu Verhärtung", sagt Etyen Mahçupyan in der Agos- Redaktion. "Normalisierung in der Türkei muss von innen kommen."

Es ist sehr erfreulich, dass es nun anscheinend auch zwischen Türken und Armeniern zu einer gemeinsamen Herangehensweise an die historischen Konflikte und die Frage des Völkermordes kommt. Davon abgesehen, dass beide Staaten nur von einer Öffnung der Grenzen profitieren können, zeigt die offenbar unvorbelastete Herangehensweise an die historischen Fragen eine Reife der Politiker beider Seiten auf, die sich noch vor wenigen Jahren an die Parolen „Völkermord an den Armeniern gab es nicht“ beziehungsweise „Die Grenzen der Türkei sind für Armenien nicht akzeptabel“ klammerten.

Warum ist es nicht auch zwischen der BRD und Polen möglich, ähnliche historische Fragen unvorbelastet zu regeln?

Die Bundesrepublik Deutschland und Polen unterhalten spätestens seit der Wende 1990 und dem Zerfall des Ostblocks freundschaftliche Beziehungen. Dennoch ist es scheinbar nicht möglich, Fragen wie die um ein geplantes „Zentrum der Vertriebenen“ unvoreingenommen zu regeln. Dass Polen ein Problem mit einer „Preußischen Treuhand“ hat, steht außer Frage. Wenn aber zwei Staaten, die seit dem EU-Beitritt Polens und der Einrichtung gemeinsamer Wirtschaftszonen und einer gemeinsamen Universität (Viadrina Frankfurt/Oder) sehr viel Wert auf gegenseitige Kooperation legen, sollte man solche Fragen auch ohne Vorbehalte klären können. Fest steht: Wir Deutschen haben Verbrechen am polnischen Volk begangen. Das polnische Volk hat Verbrechen an uns Deutschen begangen. Wer diese Tatsachen leugnet, ist zu Recht als Revisionist oder Verblender historischer Tatsachen abzulehnen.

Nur ein offener, die Schuld beider Seiten beachtender Diskurs ist möglich

Warum also wird Frau Erika Steinbach von den Polen als am meisten Angst auslösende Person auf Platz 2 nach Wladimir Putin genannt? Warum wird sie – obwohl sie die Forderungen der „Preußischen Treuhand“ gerügt hat – von der Mehrheit der politischen Kräfte der BRD und von den meisten Polen abgelehnt?

Es steht außer Frage, dass die Aufarbeitung der Verbrechen nur gemeinsam möglich ist. Müssen wie im Falle der Türkei und Armenien erst 90 Jahre ins Land gehen, bevor man sich auf wissenschaftlicher, rationaler Ebene mit den geschehenen Ereignissen auseinandersetzt? Muss erst der letzte Zeuge geschehenen Unrechts versterben, bevor eine rationale Diskussion möglich ist? Erst wenn Einstimmigkeit über die Fehler und Untaten beider Seiten möglich ist, ist auch eine neutrale Herangehensweise an die Sachfrage möglich. Es hilft also nicht, von deutscher Seite gegen Polen und die Schuld der Polen an der Vertreibung und von polnischer Seite mit auf Merkel gemünzten Hitlerbildern gegen die Deutschen zu hetzen.

Die Türkei und Armenien sind Vorbild. Polen und die BRD, die so eng wie nie zuvor in einem Staatenbund assoziiert sind, sollten endlich bereit sein, die nach wie vor offenen Fragen der Vertreibung auf wissenschaftlich-rationaler Ebene zu klären.

Reaktionär reloaded

Vor nunmehr über einem Jahr habe ich an dieser Stelle meinen Umzug auf wordpress angekündigt, mich dann aber aufgrund von allgemeiner Blogmüdigkeit aus dem Geschäft verabschiedet. Nun melde ich mich zurück, da ich momentan einfach mal wieder Lust habe, ungefragt diverse Vorgänge in Politik und Gesellschaft zu kommentieren. Gerade in der Politik gilt wie nirgends sonst: "Qui tacet, consentire videtur!" (Wer schweigt, scheint zuzustimmen). Und zustimmen kann ich verschiedenen Entwicklungen so ganz und gar nicht. Deshalb auch in Zukunft an dieser Stelle meine - natürlich absolut richtige und unfehlbare - Meinung. Gewohnt polemisch, unbequem, arrogant und politisch unkorrekt. Hoffe ich zumindest.