Donnerstag, 7. Mai 2009

Völkermord 1915: Wie sich Türken und Armenier 94 Jahre später näher kommen

Nach Jahrzehnten der Ablehnung kommen sich Türken und Armenier endlich näher, trotz – oder gerade wegen der Diskussion um den Völkermord 1915.

Gelesen auf Zeit.de:

„Es sind alte Fronten, die da am Kaukasus aufbrechen. Doch bleibt nicht der Streit um den Völkermord an den Armeniern 1915, dem am 24. April gedacht wird? Die armenische Diaspora im Westen pocht weiter auf die Anerkennung des Genozids durch die Türken. Noch immer leugnet der türkische Staat das Verbrechen. Doch eine neue Generation von Armeniern, Türken und einigen mutigen Politikern will das ändern. Gesprochen wird auch über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Einrichtung einer Kommission beider Regierungen, die die gemeinsame Geschichte, die Völkermordfrage, aufarbeiten soll.“

Prinzipiell geht es vorrangig um die Öffnung der Grenze zwischen der Türkei und Armenien, die seit nunmehr 16 Jahren hermetisch abgeriegelt ist.

"Äußerer Druck führt nur zu Verhärtung", sagt Etyen Mahçupyan in der Agos- Redaktion. "Normalisierung in der Türkei muss von innen kommen."

Es ist sehr erfreulich, dass es nun anscheinend auch zwischen Türken und Armeniern zu einer gemeinsamen Herangehensweise an die historischen Konflikte und die Frage des Völkermordes kommt. Davon abgesehen, dass beide Staaten nur von einer Öffnung der Grenzen profitieren können, zeigt die offenbar unvorbelastete Herangehensweise an die historischen Fragen eine Reife der Politiker beider Seiten auf, die sich noch vor wenigen Jahren an die Parolen „Völkermord an den Armeniern gab es nicht“ beziehungsweise „Die Grenzen der Türkei sind für Armenien nicht akzeptabel“ klammerten.

Warum ist es nicht auch zwischen der BRD und Polen möglich, ähnliche historische Fragen unvorbelastet zu regeln?

Die Bundesrepublik Deutschland und Polen unterhalten spätestens seit der Wende 1990 und dem Zerfall des Ostblocks freundschaftliche Beziehungen. Dennoch ist es scheinbar nicht möglich, Fragen wie die um ein geplantes „Zentrum der Vertriebenen“ unvoreingenommen zu regeln. Dass Polen ein Problem mit einer „Preußischen Treuhand“ hat, steht außer Frage. Wenn aber zwei Staaten, die seit dem EU-Beitritt Polens und der Einrichtung gemeinsamer Wirtschaftszonen und einer gemeinsamen Universität (Viadrina Frankfurt/Oder) sehr viel Wert auf gegenseitige Kooperation legen, sollte man solche Fragen auch ohne Vorbehalte klären können. Fest steht: Wir Deutschen haben Verbrechen am polnischen Volk begangen. Das polnische Volk hat Verbrechen an uns Deutschen begangen. Wer diese Tatsachen leugnet, ist zu Recht als Revisionist oder Verblender historischer Tatsachen abzulehnen.

Nur ein offener, die Schuld beider Seiten beachtender Diskurs ist möglich

Warum also wird Frau Erika Steinbach von den Polen als am meisten Angst auslösende Person auf Platz 2 nach Wladimir Putin genannt? Warum wird sie – obwohl sie die Forderungen der „Preußischen Treuhand“ gerügt hat – von der Mehrheit der politischen Kräfte der BRD und von den meisten Polen abgelehnt?

Es steht außer Frage, dass die Aufarbeitung der Verbrechen nur gemeinsam möglich ist. Müssen wie im Falle der Türkei und Armenien erst 90 Jahre ins Land gehen, bevor man sich auf wissenschaftlicher, rationaler Ebene mit den geschehenen Ereignissen auseinandersetzt? Muss erst der letzte Zeuge geschehenen Unrechts versterben, bevor eine rationale Diskussion möglich ist? Erst wenn Einstimmigkeit über die Fehler und Untaten beider Seiten möglich ist, ist auch eine neutrale Herangehensweise an die Sachfrage möglich. Es hilft also nicht, von deutscher Seite gegen Polen und die Schuld der Polen an der Vertreibung und von polnischer Seite mit auf Merkel gemünzten Hitlerbildern gegen die Deutschen zu hetzen.

Die Türkei und Armenien sind Vorbild. Polen und die BRD, die so eng wie nie zuvor in einem Staatenbund assoziiert sind, sollten endlich bereit sein, die nach wie vor offenen Fragen der Vertreibung auf wissenschaftlich-rationaler Ebene zu klären.

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