Donnerstag, 14. Mai 2009

Von Geschichte und Geschichten....

In der populärhistorischen (TV-)Berichtserstattung zu zeitgeschichtlichen Vorgängen oder Zusammenhängen á la Guido Knopp erfreut sich die „oral history“ genannte Darstellungsweise durch Zeitzeugen großer Erfreutheit. So darf hier Opa Hans-Jürgen im Spotlight der Knopp’schen Kamera noch einmal mit glänzenden Augen erzählen, wie er bei der Verteidigung von Breslau im Alleingang drei russische T-34 knacken konnte oder Großtante Elfriede von ihrer Rolle im antifaschistischen Straßenkampf der späten 20er Jahre schwärmen. Inwieweit die Erzählungen korrekten Ereignissen folgen, darf oftmals bezweifelt werden. Oder, wie Harald Schmidt einmal treffend formulierte: „Augenzeugen schildern präzise, woran sie sich nur noch verschwommen erinnern können.“

Wenn man nun in der Uni eine Veranstaltung über die letzten 30 Jahre Krieg in Afghanistan belegt und der Dozent Afghane ist, löst das zunächst nicht unbedingt Argwohn aus. Wer, wenn nicht ein Landsmann könnte wohl besser die Geschichte und Kultur des uns fernen Staates am Hindukusch - an dem immerhin Deutschland verteidigt wird - darstellen? Auch die im Vorfeld der Veranstaltung brodelnde Gerüchteküche, der gute Mann sei „schon drei Mal im Grenzgebiet zu Pakistan verschleppt worden“ oder habe gar „in US-Haft gesessen“ löst zu diesem Zeitpunkt eher noch Heiterkeit als Bedenken aus. Spätestens nach den ersten 45 Minuten wähnte man sich dann aber doch eher in einer modernen, politisierten Märchenstunde als in einer wissenschaftlicher Veranstaltung. Fakt ist, dass die unglaublich nette, sonore und durch den Akzent gefärbte Stimme des Dozenten erheblich dazu beiträgt, dass man einfach nur die Füße hochlegen, sich einen 12 Jahre alten Scotch einschenken und vor prasselndem Kaminfeuer stundenlang seinen Erzählungen lauschen möchte.

Und die haben es in sich: Afghanistan sei im Grunde innerlich ein hochmodernes und friedfertiges Land, dass stets der Spielball zwischen britischen Kolonialtruppen, russischen Kommunisten, Amerikanern und – am schlimmsten! – den Pakistanis gewesen sei. Die epische Schilderung der Vernichtung der britischen Kolonialarmee am Khyber-Pass 1842 hatte hier schon Tolkien-Format: Man sah vor geistigem Auge, wie die diversen, eigentlich tief zerstrittenen Stämme Afghanistans unter gemeinsamer Flagge gegen die Tommys zogen und heldenhafte Siege errangen. Es folgte eine Tirade gegen die Grenzziehung der Briten, die große Teile Ostafghanistans Pakistan eingliederten. Überhaupt, der pakistanische Geheimdienst! Aber das führt jetzt hier zu weit… Auf die Frage „Was können Sie denn zum Drogenanbau in Afghanistan sagen“ antwortete der Dozent mit den schlüssigen Worten „Nur zum Eigenbedarf!“ – der Anbau von Schlafmohn sei ohnehin erst mit den Amerikanern ins Land gekommen. Überhaupt nahm er das Wort „Heroin“ nicht einmal in den Mund sondern redete auch beim Thema Schlafmohn konstant von „Haschisch“.
Es folgte ein Schwank aus der Kindheit, und spätestens jetzt war das schöne Bild Afghanistans perfekt: Jeder konnte sich vorstellen, wie sich die Warlords des Heimatdorfes freitags nachmittags vor der Moschee trafen, die AK-47 einen Moment auf die Seite legten und bei Tee und Gras den Sonnenuntergang über den wilden, zerklüfteten Gipfeln des Hindukusch genossen. Wunderschön!

So viel Verständnis ich für einen Menschen aufbringen kann, dessen Heimat seit 30 Jahren durch Krieg und Armut verwüstet wird… In der Universität sollte man doch eher wissenschaftliche Fakten wiedergeben, als durch eigene Erfahrungen geprägte Freund- und Feindbilder. Andererseits: Ich freue mich schon auf morgen. Dann gibt’s nämlich wieder Märchenstunde. Und das hat auch was für sich – vielleicht dann ja auch wirklich mit Scotch.

2 Kommentare:

Icefrog hat gesagt…

Herrlich...könnte man meinen...allerdings ist dies leider die bittere Realität...

aber zum Thema füße hochlegen...ich werde nachher die Moods einpacken, die gute Flasche Rotwein und 6 Gläser auch und dann einfach mal in afghanischen Erinnerungen aus 1000 und 1er Nacht schwelgen :)

Thomas hat gesagt…

Ihre Skepsis gegenüber Augenzeugen kann ich verstehen, aber nicht teilen. Mein Misstrauen gegenüber Historikern ist ungleich größer. Das, was heute über das Dritte Reich behauptet wird, hätte unmittelbar nach dem Krieg vermutlich massenhaften Widerspruch herausgefordert. Deshalb sind Augenzeugen bei Historikern äußerst unbeliebt. Die uneingeschränkte Deutungshoheit über die Geschichte erlangt der Historiker erst, wenn der letzte Augenzeuge verblichen ist. Gerade in der Geschichte ist die Interpretation historischer Fakten keine Angelegenheit der Wissenschaft sondern eine zutiefst politische Frage. Historiker sind moderne Märchenerzähler, deren literarisches Niveau allerdings deutlich unter dem der Ilias bleibt.